sag es Vater, Teil 2

Das Nachtessen geht ohne den Kleinen Müller über den Tisch. Inzwischen wartet dieser in seinem Zimmer auf der Kante seines Bettes sitzend, was da kommen wird.

Die Zimmertüre geht auf. „Wir gehen“, sind die einzigen Worte seines Vater die Klein Müllers von ihm zu hören bekommt. Er merkt am Tonfall, dass es Nichts zu sagen gibt. Keine Rechtfertigung, kein Erklären, einfach ruhig bleiben und die Stimmung ertragen. Mit gesenktem Haupt marschiert er hinter Vater aus der Wohnung. Sie steigen die Holzstiege hinunter welche jeden Schritt mit knarrendem Geräusch den anderen Bewohner kundtut, treten vor die Haustür und gehen zum Nachbarhaus.

Vater Müller klingelt, macht einen Schritt zurück. „Jetzt bist du dran“, sagt es und steht hinter seinen Sohn. Nach einer Weile, die diesem unendlich lang vorkommt und er am liebsten Fersengeld geben würde, öffnet sich die Türe. Im Türrahmen steht die Frau Nachbarin. Macht ein sehr grimmiges Gesicht. Mit ihr hat sich Klein Müller schon mal beim Apfelklauen angelegt. Dabei aber den Kürzeren gezogen. Sie erkannte ihn trotz raschem Rückzug, musste bloss bei Mutter Müller vorsprechen. Die Strafe: Entschuldigen bei der Nachbarin und eine Woche Hausarrest. Der war übel, weil es sehr schönes Wetter war und die Kameraden ständig draussen herum tobten.

Jetzt muss er sich wieder entschuldigen, sagen wie es ihm leid tut und versprechen so was nicht wieder zu tun. Die Bitte um Verzeihung gelingt ganz ordentlich, schliesslich ist er echt zerknirscht über seinen Fehlwurf und dessen Folgen. Herr Nachbar übergibt Vater Müller das Resultat vom Fehlwurf seines Sohnes.  Klein Müller muss das schwere Teil nachhause schleppen. Er schaut verschämt nach links und rechts, ob ihn einer der Murmelwurf-Mitspieler vom Nachmittag beobachtet. Die scheinen Alle in Deckung zu sein. Kein grinsendes Gesicht ist zu sehen.

Zuhause ist der Küchentisch mit alten Zeitungen abgedeckt zum Werkbank umfunktioniert. Klein Müller legt das schwere Teil, welches er die knarrende Treppe hoch in die Wohnung geschleppt hat auf die Tischplatte. L1070815 Kopie2Geschickt entfernt Vater Müller mit Hammer und Zange den alten Kitt und ein Bruchstück nach dem andern. Als der Holzrahmen das letzte Trümmerteil freigegeben hat, legt Vater Müller eine neue Fensterglasscheibe in den Fensterrahmen, nimmt aus der Kittdose ein grosses Stück frischen Kitt, rollt diesen zu einer Schlange und drückt diese so an den Rahmen und die Scheibe, dass diese nicht heraus fallen kann. Mit nassem Finger und einem Spachtel wird der Kitt geglättet und Überschüssiger weggeschabt und in die Kittdose zurück gedrückt. „Jetzt noch trocknen lassen“, kommentiert Vater Müller sein Werk und zu seinem Sohn: „Aufräumen, dann ab ins Bett und sofort Lichterlöschen!“

Klein Müller tut wie im geheissen, verschwindet in seinem Zimmer. In der linken Faust ein grosses Stück von weichem Kitt aus der Dose schmuggelnd. Davon formt er runde Kugel, gerade so gross wie der innere Durchmesser des Messingrohres das er letzthin von der nahen Baustelle mitgenommen hat. Die Kugeln legt er Stück für Stück auf den Sims seines Zimmerfensters. Durch das Fenster sieht er das nur wenige Meter entfernte Nachbarhaus, von dem er den Fensterrahmen mit der geborstenen Scheibe zum Küchentisch schleppte.

Wie die Dunkelheit den Tag niedergerungen hat, schiebt Klein Müller die erste Kittkugel in das auch auf dem Sims bereit gelegte Rohr. Nimmt dessen Öffnung an seine Lippen, füllt seine Gesichtsbacken prall mit Luft, zielt in Richtung Haustür des Nachbarn und pustet mit aller Kraft ins Rohr.

Nach dem fünften Pusten gibt die Glühbirne in der Lampenfassung L1070944 Kopie2über der Tür des Nachbarhauses ein zischendes Geräusch von sich. Der Hauseingang versinkt in Dunkelheit.

Klein Müller legt das Rohr in die Kleiderkommode, schliesst schnell das Fenster und schlüpft unter die vor so vielerlei Unbill schützende Bettdecke. Muss er sich Morgen wieder entschuldigen gehen? Das Sprichwort dreht sich: „Sein schlechtes Gewissen bereitet ihm ein unruhiges Kissen.

„selber schuld, da nichts gelernt“

6 Kommentare zu „sag es Vater, Teil 2“

  1. Ja und musste sich Klein Müller noch einmal entschuldigen? …
    Deine jugendlichen kleinkriminellen Eskapaden sind echt spannend und lassen mich herzhaft schmunzeln …. Sind es nicht auch erheiternde Farbkleckse deiner Biografie?
    Än schönä Obig ond heb’s guät
    Brigitte

    1. Im Falle der Glühbirne, welche zur nächtlichen Stunde durch jugendliches Ungestüm ihren Dienst versagte, hatte ich Glück und wurde nie als der „Lichterlöscher“ entlarvt. Somit gab es keine Entschuldigung meinerseits.
      Dein Schmunzeln freut mich, der Vergleich mit biografischen Klecksen ist ein schönes Kompliment. Drum werde ich noch den einen oder anderen Erinnerungsklecks auf meinen biografischen Notiznagel setzen.
      Mit Tastaturgruss Müller

  2. „Luusbueb“ reicht wohl nicht, um den damaligen Müller zu beschreiben, hä?
    Ich bitte inständig um weitere derartige Geschichten. Das wird ja nicht die Einzige gewesen sein…?

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